TESTIMONIA. Die antiken literarischen Zeugnisse über Ägina

Die Insel Ägina und ihre Einwohner haben infolge der überregionalen handelspolitischen Bedeutung der Insel überaus häufig Eingang in die Literatur der klassischen Antike gefunden. Obwohl diese literarischen Zeugnisse zweifellos das Fundament der archäologischen und historischen Erforschung antiker Ausgrabungsstätten darstellen, bildete die kritische und ausführliche Aufarbeitung der antiken Quellen lange Zeit ein unerfülltes Desiderat. Aufgrund dieser Ausgangslage wurden im Rahmen eines FWF-Projekts entsprechend den Quellensammlungen anderer bedeutender Ausgrabungsstätten eine systematische Erfassung sämtlicher Schriftquellen über Ägina und seine Einwohner innerhalb der griechischen und römischen Literatur von Homer bis in spätrömische Zeit, ihre Übersetzung und detaillierte Indexierung nach Sachgebieten vorgenommen.

Die sich auf elektronische Datenbanken begründende Recherche bot in Verbindung mit Konkordanzen und Indexverzeichnissen verschiedener Textausgaben, sowie einer umfassenden Beschäftigung mit der jeweiligen Sekundärliteratur und den wissenschaftlichen Kommentaren die Voraussetzung für eine vollständige Erfassung der relevanten schriftlichen Zeugnisse. Den Ausgangspunkt bildeten die einzige Erwähnung innerhalb der homerischen Epen (Hom. Il. 2,562) und die dazugehörigen Scholien. In weiterer Folge wurden die Passagen der jüngeren, griechischen Autoren zusammengestellt, wobei Ägina zunächst nur sehr vereinzelt literarisch belegt ist (Hesiod, Simonides, Korinna, Bakchylides). Demgegenüber fallen ins 5. Jh. v. Chr. mit Pindar (56 Textstellen), den dazugehörigen Scholien (260), Herodot (126) und Thukydides (40) drei Autoren mit besonders zahlreichen Stellenbelegen. Danach nimmt die Häufigkeit an Erwähnungen wieder ab (Xenophon, Aristoteles, Isokrates, Platon, Demosthenes). Unter den zahlreichen Schriftstellern der hellenistischen und römischen Epoche ragen Pausanias (87 Textstellen), Ailios Herodian (43), Plutarch (41) und Ailios Aristeides (25) mit den dazugehörigen Scholien (42) hinsichtlich der Menge an Stellenbelegen hervor. Den vergleichsweise häufigen Belegen bei Diodor (23), Strabon (20), Athenaios (14) und Diogenes Laertios (13) stehen vereinzelte Stellenbelege bei über 80 Schriftstellern gegenüber. Autoren und Werke aus der Zeit nach dem 5. Jh. n. Chr. fanden insofern Berücksichtigung, sofern sie auf antike Werke bzw. Ereignisse Bezug nahmen (Olympiodoros, Johannes Philoponos, Konstantinos Porphyrogenitos etc.) oder in unmittelbarer antiker Tradition standen (z.B. Georgios Synkellos, Theognostos, Tzetzes etc.). Ebenso wurden die zahlreichen Lexika (Stephanos von Byzanz, Photios, Suidas etc.) und Etymologika der byzantinischen Zeit (Etymologikon Magnum, Etymologikon Symeonis etc.) auf relevanten Stellen hin untersucht.

Während sich bei den älteren Autoren nur sehr vereinzelt Rückverweise auf frühere Arbeiten finden lassen, nimmt ab dem 1. Jh. v. Chr. das Auftreten von Zitaten sukzessive zu. Dieser Trend setzt sich bis zu den spätantiken Kommentatoren und byzantinischen Lexika kontinuierlich fort. Die überwiegende Anzahl dieser späten Stellen bezieht sich somit auf die Blütezeit Äginas im 6. und 5. Jh. v. Chr. Wenn auch diese Quellen das Wissen, das aus den Werken früherer Epochen zu gewinnen ist, kaum erweitern können, so bieten sie dennoch interessante Einblicke in die Überlieferungsgeschichte und Wissenstradierung.

Im Gegensatz zur großen Menge an Zeugnissen innerhalb der griechischen Literatur (1485 Belege bei 184 Autoren bzw. deren Scholien), tritt Ägina im lateinischen Textcorpus wesentlich seltener auf, worin sich die geringe Bedeutung Äginas innerhalb der römischen Literatur, wie auch für die römische Geschichte, widerspiegelt (78 Stellen bei 22 Autoren). Fast ein Viertel aller Belege findet sich bei Livius, während bei den anderen Autoren zumeist nur vereinzelte Stellenbelege festgestellt werden konnten. Zumeist wird Ägina entweder im Rahmen der Geschichtsschreibung (z.B. Livius, Valerius Antias, Valerius Maximus) oder mythologischer Erzählungen genannt (z.B. Ovid, Statius, Hyginus). Nur ganz vereinzelt wird auf die aktuelle Situation Bezug genommen (z.B. Cicero, Gellius). Die christlichen lateinischen Autoren erwähnen das antike Ägina kaum.

Die insgesamt 1563 Quellenbelege beinhalten neben jenen 1443 Stellen, bei denen eine ausdrückliche Erwähnung der Nymphe Ägina resp. der Insel bzw. Stadt Ägina oder ihrer Einwohner auftritt weitere 120 Stellen, die trotz fehlender namentlicher Nennung unmittelbar bzw. mittelbar auf diese Insel zu beziehen sind und im Zuge einer umfassenden Beschäftigung mit der jeweiligen Sekundärliteratur und den wissenschaftlichen Kommentaren gesammelt werden konnten. Dadurch wurden sämtliche Belege erfasst, die aufgrund ihres fragmentarischen Zustandes keine explizite Erwähnung aufweisen, bei denen Ägina infolge einer schadhaften Überlieferung entweder verloren gegangen oder irrtümlich geschrieben worden ist, bei denen Ägina aus dem Zusammenhang zu ergänzen ist, die einen Ägineten ohne Herkunftsangabe nennen und bei denen die Insel als Oinone, Oinopia oder Stadt der Aiakiden bezeichnet wird. Darüber hinaus wurde durch das intensive Studium der Sekundärliteratur die Aufmerksamkeit auf zahlreiche vergleichbare Stellen gelenkt, die zwar nicht im vollständigen Originalzitat angeführt werden konnten, auf die aber dennoch im textkritischen Apparat verwiesen wurde.

Dank dieser Arbeitsmethode konnte der Anspruch auf Vollständigkeit im Vergleich zu bisher veröffentlichten Quellensammlungen anderer Ausgrabungsstätten wesentlich gehoben werden. Die möglichst nahe am Originaltext gehaltene Übersetzung sowie die kontextbezogenen Erklärungen, mit denen das Verständnis, die Beurteilung und die Einschätzung der Stellen erleichtert werden, gewährleistet die Benützung der Gesamtpublikation über den Kreis der Fachspezialisten hinaus. Darüber hinaus bieten der Umfang und die breite Streuung der systematischen und detaillierten Indexierung nach bestimmten Sachgebieten eine für den Benutzer möglichst rasche Suche nach den gewünschten Informationen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Arbeitsinstrument infolge der überregionalen Bedeutung Äginas und seiner Einbindung in bedeutende historische Ereignisse der griechischen und römischen Antike eine wesentlich verbesserte Voraussetzung für zukünftige historische, kunst-, sozial-, religions- und wirtschaftsgeschichtliche Unter­suchungen bildet.

Literatur:

  • J. Weilhartner, Testimonia. Die literarischen Zeugnisse über das antike Aigina von Homer bis in byzantinische Zeit. Ägina-Kolonna: Forschungen und Ergebnisse III, Denkschriften der Gesamtakademie 57, Wien 2010.
  • J. Weilhartner, Die Keramikproduktion auf Ägina in historischer Zeit nach Aussage der literarischen Quellen, in: G. Klebinder-Gauss, Keramik aus klassischen Kontexten im Apollon-Heiligtum von Ägina-Kolonna. Lokale Produktion und Importe, Ägina-Kolonna. Forschungen und Ergebnisse VI, Denkschriften der Gesamtakademie 70, Wien 2012, 207–211.
  • J. Weilhartner, Pausanias und die äginetischen Bildhauer, in: V. Gassner & M. Meyer (Hrsg.), Standortbestimmung. Akten des 12. Österreichischen Archäologentages in Wien, 28.2.-1.3. 2008, Wien 2010, 53–64.
  • J. Weilhartner, „ἡ λήμη τοῦ Πειραιέως“: Über das negative Bild der Insel Aigina und ihrer Einwohner in der attischen Geschichtsschreibung, in: G. Grabherr & B. Kainrath (Hrsg.), Akten des 11. Österreichischen Archäologentages in Innsbruck, 23.-25. März 2006, Innsbruck 2008, 343–351.

Die Forschungen fanden 2003-2006 im Rahmen eines vom FWF geförderten Projektes statt:

Einzelprojekt P16377-G01: „Testimonia. Die antiken literarischen Zeugnisse über Ägina“

Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Stefan Hiller

Projektmitarbeiter: Mag. Dr. Jörg Weilhartner



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